Das Fragiles-X-Syndrom (FXS) ist eine der häufigsten Ursachen erblicher kognitiver Behinderung. Ursache hierfür ist eine genetische Veränderung auf dem X-Chromosomen. Die Behinderung kann in ihrer Schwere stark variieren und von leichten Lernschwierigkeiten bis zu extremer kognitiver Beeinträchtigung reichen.
Es gibt Menschen mit Fragilem-X-Syndrom in allen Völkern der Welt. Man geht davon aus, dass etwa einer von 3000-4000 neugeborenen Jungen von dem Syndrom betroffen ist. Bei Mädchen tritt es wesentlich seltener auf und wenn, dann meist auch in milderer Ausprägung. Wie stark die betroffenen Kinder in ihrer Entwicklung eingeschränkt sind, ist von Kind zu Kind sehr unterschiedlich.
Oft fällt den Eltern erst im Verlauf der ersten Lebensjahre auf, dass die Entwicklung ihres Kindes langsamer verläuft als bei anderen Kindern. Manchmal sind es auch besondere Verhaltensweisen des Kindes, die den Eltern zunehmend Sorgen bereiten. Die Diagnose Fragiles-X-Syndrom erfolgt dann häufig erst sehr spät. Man muss sogar davon ausgehen, dass es bei einigen Betroffenen (vor allem bei manchen Mädchen) gar nicht erkannt wird.
Besondere Merkmale – Wie zeigt sich das Syndrom?
Kinder mit Fragilem-X-Syndrom sind, wie alle anderen Kinder auch, zunächst einmal Menschen mit ihrer ganz eigenen Persönlichkeit, ihren individuellen Vorlieben, Stärken und Schwächen. Freunde und Verwandte werden vielleicht bemerken, dass sie die Nase von der Mama oder den Sturkopf vom Papa geerbt haben… Ein kleiner Fehler in der DNA bestimmt nicht alles.
Trotzdem kann man bei vielen Menschen mit Fragilem-X-Syndrom einige typische Gemeinsamkeiten feststellen. Das betrifft zum Beispiel manche körperlichen Besonderheiten, ihre Lernfähigkeiten oder ihr Verhalten. Der Grund dafür ist logisch: Sie besitzen einen Gendefekt an der gleichen Stelle, weshalb ein bestimmtes Protein nicht gebildet werden kann, was wiederum Auswirkungen auf ganz bestimmte Entwicklungsbereiche hat.
Äußerliche Kennzeichen
Äußerlich sieht man Kindern mit Fragilem-X-Syndrom die Behinderung meist gar nicht auf den ersten Blick an. Hier sehen Sie Fotos von Kindern und Jugendlichen mit FXS.
Vergleicht man das Aussehen vieler Jungen, die alle von dem Syndrom betroffen sind, lässt sich doch eine gewisse Ähnlichkeit in den Gesichtszügen feststellen. Oft haben sie ein eher langes, schmales Gesicht mit markantem Kinn und breiter Stirn, sowie recht große Ohren. Im Erwachsenenalter werden diese Merkmale deutlicher. Bei Mädchen und Frauen ist dieses typische Aussehen weniger ausgeprägt. Auffallend sind außerdem ein häufig offen stehender Mund und ein schlaksiger Gang. Die Ursache dafür ist eine geringe Muskelspannung. Ein weiteres Kennzeichen für das Syndrom ist ein vergrößertes Hodenvolumen, das bei recht vielen Jungen und Männern mit FXS festzustellen ist. Folgen für die Gesundheit hat dies aber keine und die betroffenen Männer sind auch normal zeugungsfähig.
Gesundheitliche Probleme
Eine genetische Besonderheit ist keine Krankheit. Kinder mit Fragilem-X-Syndrom sind nicht dauerhaft krank und auch nicht unbedingt öfter krank als andere Kinder. Es gibt nur ein paar wenige Gesundheitsprobleme, die im Zusammenhang mit dem Syndrom häufiger auftreten.
Bei etwa 10-25% der Jungen und weniger als 8% der Mädchen wird eine Epilepsie festgestellt, die jedoch durch die Einnahme von Medikamenten gut behandelbar ist und im Jugendalter meist von selbst wieder verschwindet. Viele Kinder mit Fragilem-X-Syndrom haben eine zu schlaffe Muskelspannung („Hypotonie“). Im Säuglings- und Kleinkindalter können dadurch Schluckstörungen und Probleme beim Essen auftreten. Sie haben Schwierigkeiten mit Bewegungsabläufen (Grob- und Feinmotorik) und der Körperwahrnehmung. Durch Physiotherapie (Krankengymnastik) kann sich das aber bessern.
Besonderheiten im Lernen
Da der Gendefekt Auswirkungen auf die Entwicklung des Gehirns hat, haben Menschen mit Fragilem-X-Syndrom (unterschiedlich stark ausgeprägte) Schwierigkeiten beim Lernen. Anhand von Intelligenzmessungen werden die meisten Jungen und Männer mit FXS in die Kategorie einer „geistigen Behinderung“ eingeordnet, d. h. ihr Intelligenzquotient (IQ) liegt unter 70. Mädchen und Frauen mit FXS sind im Durchschnitt weniger betroffen. Sie haben manchmal nur eine leichte Lernbehinderung oder normale Intelligenz.
Man kann nicht voraussagen, wie sich ein Kind mit Fragilem-X-Syndrom entwickeln wird, da die Spannbreite hierfür sehr groß ist und von sehr vielen Faktoren abhängt. In den ersten Lebensjahren fallen oft Entwicklungsverzögerungen auf, zum Beispiel wenn das Kind erst spät laufen oder sprechen lernt. In jedem Fall können die Kinder und Jugendlichen mit Hilfe einer guten Förderung zum Teil enorme Lernfortschritte machen.
Außerdem muss betont werden, dass ein IQ-Wert wenig darüber aussagt, was eine Person tatsächlich weiß und kann, wo ihre Stärken und Schwächen liegen und wie sie im Alltag zurechtkommt. Viele Kinder mit FXS sind sprachlich sehr gewandt und besitzen ein sehr gutes Gedächtnis für Erlebnisse oder Dinge, die sie interessieren. Schwieriger fallen ihnen Aufgaben, die ein eigenes Planen und Problemlösen erfordern und auch das Rechnen lernen fällt oft sehr schwer. Man hat jedoch auch festgestellt, dass eine besondere Stärke von Menschen mit Fragilem-X-Syndrom in den so genannten lebenspraktischen Fertigkeiten liegt (z.B. Erledigung von Arbeiten im Haushalt, Selbstversorgung, Körperpflege, etc.). Obwohl sie also vielleicht im schulischen Bereich Schwierigkeiten haben, gelingt es vielen von ihnen sehr gut, sich im Alltag zurechtzufinden und gewohnte Tätigkeiten selbstständig und gewissenhaft zu erledigen.
Besonderheiten im Verhalten
Die kleinen Besonderheiten im Aufbau des Gehirns, die das fehlerhafte Gen verursacht, können nicht nur Auswirkungen auf das Lernen, sondern auch auf das Verhalten des Kindes haben. Kinder mit Fragilem-X-Syndrom nehmen viele Situationen anders wahr als wir und haben manchmal Probleme, ihr eigenes Verhalten zu steuern. Im Alltag zeigt sich das durch eine Reihe von typischen Verhaltensauffälligkeiten, die den Umgang mit dem Kind nicht immer leicht machen. Dazu gehören Hyperaktivität (v.a. in jüngerem Alter), Aufmerksamkeitsprobleme, zwanghafte Bewegungsmuster („Stereotypien“, z.B. mit den Händen wedeln), ständiges Wiederholen des gleichen Gesprächsthemas, soziale Scheu mit Vermeiden von Blickkontakt, Ängstlichkeit in ungewohnten Situationen, sowie Probleme, Veränderungen zu akzeptieren. Auch wenn sie dies manchmal nicht so zeigen können, sind die allermeisten Kinder mit Fragilem-X-Syndrom aber sehr gesellig und an anderen Menschen interessiert.
Therapie- und Fördermöglichkeiten
Das Fragile-X-Syndrom ist nicht „heilbar“ im eigentlichen Sinne. Es gibt bisher keine Behandlung, die direkt an der Ursache (also dem defekten Gen) ansetzt, auch wenn in diese Richtung schon viel geforscht wird.
Es gibt jedoch einige Möglichkeiten, um die einzelnen gesundheitlichen Probleme oder Verhaltensauffälligkeiten zu lindern.
Schritt für Schritt fördert die Kinder ganzheitlich. Jedes Kind hat seinen individuellen Förderplan mit gesetzten erreichbaren Zielen. Diese werden in allen Bereichen der Therapie verfolgt und umgesetzt, um die beste Lösung für die Kinder zu finden.